Nur Mut zum Ghostwriting

Von Thomas Spiekermann

Vor etwas mehr als zehn Jahren habe ich Joachim Gauck in der evangelischen Kirche meiner Heimatstadt live gesehen. Zwar gehören Kirchen nicht unbedingt zu meinen bevorzugten Etablissements, aber das „Erlebnis Gauck“ wollte ich mir dann doch nicht entgehen lassen. Der Anlass war eine Lesung aus seinem Buch Winter im Sommer – Frühling im Herbst: Erinnerungen – ein Bilderbogen seines Lebens von der Kindheit an bis in die Nachwendejahre.

Noch konnten wir nicht wissen, dass das Credo und der thematische Gegenstand seines Buches – Freiheit – schon knapp ein Jahr später zum Motto seiner unerwarteten Präsidentschaft werden sollte. Christian Wulff war über ein Hausdarlehen, einen Autokredit, ein Flug-Upgrade, einige Wochenendtrips und am Ende sogar ein Bobby-Car gestolpert. Es sollte sich zwar schließlich herausstellen, dass hinter den meisten Vorwürfen nichts als heiße Luft steckte, aber seinen Hut musste er dennoch nehmen.

Von Plagiatsjägern und Boulevardpostillen

Warum ich das überhaupt erwähne? Die Bild-Zeitung, als inoffizielle Postille des schlichten Denkens im Lande, hatte ihn in einer beispiellosen Kampagne niedergemacht. Ähnliches sollte zehn Jahre später auch dem aufstrebenden Stern der deutschen Politik, Annalena Baerbock, widerfahren, die ein schwergewichtiges Opus des Namens Jetzt: Wie wir unser Land erneuern in die Buchhandelsregale und Onlineportale gebracht hatte.

Just, als sie zur Kanzlerkandidatin gekürt worden war, meldete sich ein österreichischer Plagiatsschnüffler zu Wort, sie hätte in ihrem politischen Manifest abgekupfert, was das Zeug hielt. Zwar hieß es zunächst, er habe in Eigenregie nach Copy-Paste-Trüffeln gebuddelt, doch steht nach wie vor der Verdacht im Raum, dass eine „ominöse Interessengruppe“ seinen Normaltarif von acht Euro pro Seite (oder mehr) schon bezahlt haben dürfte.

Sei es, wie es ist – es kam, wie es kommen musste. Als die Bild an der Spitze der jagenden Meute erst mal rasant Fahrt aufgenommen hatte, ging es mit Frau Baerbock ebenso rapide bergab. „Bad Karma“, meint der erleuchtete Buddhist dazu, „dumm gelaufen“, trötet der Durchschnittsmichel. Der bekommt zwar sonst kaum einen Satz fehlerfrei zum Punkt geholpert, konnte sich nun aber mit Verve zum Hüter der deutschen Dichter- und Denkerkultur aufschwingen. Was für ein innerer Vorbeimarsch!

Ghostwriter als „Geburtshelfer“

Da half es der Unglücklichen auch nicht, dass ihr Ghostwriter, der sich nebulös als „Geburtshelfer“ des Buchs bezeichnete, die Vorwürfe gegen sie als scheinheilig brandmarkte. Nebenbei ließ er sich aber selbstverständlich den Bärendienst nicht nehmen, er habe mit den beanstandeten Textstellen rein gar nichts zu tun gehabt. Honni soit qui mal y pense.

Doch schwingen wir unser Pendel einmal zurück zu Joachim Gaucks Freiheitsplädoyer des Jahres 2011. Wenn Lesende das Buch aufklappten, prangte den Geneigten ein Vermerk entgegen: „in Zusammenarbeit mit Helga Hirsch“ – ein ehrlicher Hinweis, der es in späteren Elaboraten des ehemaligen Staatsoberhaupts sogar auf die Titelseite geschafft hat. Bereits während der Lesung, als der Büchertisch draußen noch heimlich aufgebaut wurde, hatte er auf seine Schreibunterstützung hingewiesen. Eine ehrliche Haut der Gauck, dem man sofort abnahm, dass diese Transparenz keine durchsichtige Masche zur Steigerung seiner Sympathiewerte sein sollte.

Ich finde das fair, wenn auch nicht unbedingt nötig. Es ist eine Sache der Abmachung zwischen Autorin oder Autor und Geburtshelfer oder Geburtshelferin. Dennoch zeigt es: Eine Ghostwriterin oder einen Ghostwriter zu engagieren, ist legal und nichts Ehrenrühriges. Viele großartige Menschen wissen viele großartige Dinge oder haben viele großartige Dinge zu sagen, die sonst niemals das Licht der Öffentlichkeit erblicken würden. Sie haben halt kaum die Zeit, ein ausgewachsenes Buch zu verfassen. Und nicht jede oder jeder hat das Talent oder die Lust dazu.

Schreiben ist (auch) ein Handwerk

@Elnur / stock.adobe.com

Warum sollten sie sich also beim „Handwerk Schreiben“ nicht unterstützen lassen? Im Idealfall ist das, was der Leser am Ende bekommt, in etwa so was wie eine leckere Limo in einer hübschen Pulle, die nicht in der Limonadenfabrik hergestellt wurde. Und ist die Flasche schön anzusehen, schmeckt die perlende Erfrischung noch ein ganzes Stück süßer und verführerischer als ohnehin schon. Denn das Auge trinkt bekanntlich mit.

Klar sollte einem aber bitte sein, dass man seinem Geburtshelfer oder dessen weiblichem Pendant vertrauen können muss. Denn wer keine Zeit zum Schreiben hat, hat auch keine, alles nachzurecherchieren, was sich in die Zeilen des späteren Druckstücks geschlängelt hat.

Dieses Vertrauen muss man sich aber auch in Zeit und Geld etwas kosten lassen. Wer ein ganzes Buch für 5.000 Euro ghosten will und meint, dafür mit einer dreistündigen Kennenlernsitzung auszukommen, sollte lieber Bedienungsanleitungen für Post-its oder Sportberichte über abgesagte Fußballspiele schreiben. Diese Rechnung geht bestenfalls auf, wenn man das halbe Internet eins zu eins in seine raubkopierte Wordversion verfrachtet. Das zumindest sollte dem Genius hinter dem Handwerker bewusst sein, wenn sie oder er den Ghostwriting-Vertrag mit dem Billigheimer unterzeichnet.

Ghostwriting ist eine Investition

Wie also leicht zu sehen, ist das Buchverfassenlassen eher eine Investition in die Zukunft als ein schnöder Kostenposten. Am Ende muss man sehen, dass man den Wert hinter den Zeichen und Seiten bezahlt und nicht die Stunden, die hineingeflossen sind. Auf die eigenen darf man dabei auch nicht schauen, weil keine Zeit zum Schreiben keinesfalls bedeuten darf, keine Zeit zum Denken und zum Briefing zu haben. Wer seinen Schreibpartner im Regen sehen lässt, muss sich nicht wundern, selbst in die Traufe zu kommen.

Fassen wir zusammen: Auch wenn die unbeherrschten Reaktionen von Baerbocks Partei gezeigt haben, dass man auch mit einem Grünen Star sehenden Auges ins Unglück rennen kann, muss das nicht bedeuten, auf ein Buch zu verzichten. Wenn man Wertvolles in sich trägt, das in die Welt soll, darf man sich guten Gewissens einen „Geburtshelfer“ suchen. Man bucht ja auch keinen Kreißsaal, um dort alles selbst zu machen.

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